Arztbrief Zufallsbefunde müssen im Arztbrief beschrieben werden

DresdenRechtliches

Wird eine Patientin oder ein Patient mit Kopfschmerzen an eine Radiologin oder an einen Radiologen zum MRT überwiesen, darf diese oder dieser auch vor einem sichtbaren Nebenbefund außerhalb des Gehirnschädels nicht die Augen verschließen. Auch wenn sie oder er in medizinischer Sicht nicht selbst verpflichtet ist, diesen Zufallsbefund abzuklären, hat sie oder er den Befund im Arztbrief an die überweisende Behandlerin oder den überweisenden Behandler aufzunehmen.

Übersieht der Radiologe diesen erkennbaren Nebenbefund, stellt dies einen Diagnosefehler dar. Die Arzthaftungsklage des Patienten wurde aber abgewiesen, weil es dem Patienten nicht gelang nachzuweisen, dass sein Gesundheitsschaden gerade auf diesem Fehler des Radiologen beruhte. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden.

Wegen andauernder Kopfschmerzen suchte ein Mann seinen Hausarzt auf, der ihn zu einem Radiologen zum MRT überwies. Das MVZ ließ durch seinen Radiologen ein MRT des Schädels erstellen, „zur Abklärung der Kopfschmerzen“. Der Radiologe bewertete den Befund als unauffällig. Wie der Gerichtssachverständige später feststellte, war auf dem MRT aber in der linken Felsenbeinspitze sowie im linken Mastoid eine diskrete Signalalteration erkennbar.

Wegen Schwindels, Kopfschmerzen und Ohrdruck suchte der Mann dann eine HNOÄrztin auf, die ein CT fertigte, das ein Perlgeschwulst des Ohres zeigte. Nach dessen operativer Entfernung litt der Mann unter Lähmungen im Gesicht. Er warf dem Radiologen vor, er habe grob fehlerhaft den erkennbaren Befund übersehen. Durch die Verzögerung der Behandlung sei das Geschwulst weitergewachsen. Er klagte auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab – zwar bestehe ein einfacher Behandlungsfehler des Radiologen, das Gericht konnte aber nicht feststellen, dass dieser Fehler für den Schaden ursächlich sei. Dagegen richtete sich die Berufung des Mannes, jedoch ohne Erfolg. Das Gericht war der Meinung, dass nur ein einfacher Diagnoseirrtum vorliege, dem Mann sei jedoch der Beweis für die Kausalität der zeitlichen Verzögerung der Behandlung für den eingetretenen Schaden nicht gelungen.

Der Radiologe, dem ein Patient mit einer bestimmten Fragestellung zur weiteren Untersuchung überwiesen wird, könne sich nicht auf den Auftragsumfang beschränken. Aufgrund der ihm gegenüber dem Patienten obliegenden Fürsorgepflicht habe er für die Auswertung eines Befundes all die Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für gebotene Maßnahmen zu nehmen, die er aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereiches sowie aufgrund der Behandlungssituation feststellen müsse. Vor in diesem Sinne für ihn erkennbaren „Zufallsbefunden“ dürfe er nicht die Augen verschließen. Werde dieser Befund nicht beschrieben, gehe die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt indes vom Normalzustand aus, sodass eine weitere Abklärung unterbleibe. Ein rechtlich schwerwiegenderer Befunderhebungsfehler liege jedoch nicht vor. Dieser sei nur gegeben, wenn eine Verpflichtung des Arztes bestand, den Nebenbefund, der sich außerhalb des Gehirnschädels befand, selbst zu bewerten oder weitere Befunderhebungen in eigener Zuständigkeit zu veranlassen.

 

OLG Dresden, 10.10.2023, Az. 4 U 634/23