Dazu müssen die Zulassungsgremien systematisch und strukturiert die Auslastung der fachgleichen Praxen ermitteln und deren Patientenfallzahlen analysieren und auch zwischenzeitliche, neuere Erkenntnisse berücksichtigen. Tun sie dies nicht, so wird der einen Sonderbedarf ablehnende Bescheid aufgehoben und das Gremium muss erneut entscheiden. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg entschieden.
So kam es zur Entscheidung: Eine Fachärztin für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie/Onkologie aus Berlin, die einen halben vertragsärztlichen Versorgungsauftrag besitzt, beantragte die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung für einen weiteren halben Versorgungsauftrag. Zur Begründung gab sie unter anderem an, die Zahl onkologischer Patientinnen und Patienten sei stark angestiegen und sie sei in der einzigen hämatologisch-onkologischen Facharztpraxis im Bezirk W. tätig.
Der Zulassungsausschuss bei der Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin prüfte die Versorgungslage. Er befragte dazu die KV, die den Sonderbedarf bejahte. Ebenfalls gefragt wurde der Verein der niedergelassenen internistischen Onkologen Berlin. In einer Stellungnahme vom 26. April 2021 führte dieser unter anderem aus, dass die onkologischen Schwerpunktpraxen am Limit beziehungsweise darüber hinaus arbeiteten und dass weitere Zulassungen nicht zur Leistungsmengenausweitung führen würden.
Der Zulassungsausschuss verneinte jedoch einen dauerhaften Sonderbedarf. Dagegen legte die Internistin Widerspruch ein. Aber auch der Berufungsausschuss (BA) konnte keinen Sonderbedarf erkennen. Dagegen klagte die Internistin.
Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht stritt der beklagte Berufungsausschuss auch mit weiteren Ärzten wegen onkologischer Zulassungen. Im Verlauf dieser anderen Verfahren führte der BA umfangreiche Ermittlungen zur Versorgungslage durch (u. a. Abfrage der Terminservicestellen, der Qualitätssicherung der KV, der Abrechnungsabteilung der KV, des Hausarztverbandes). Diese Stellen gaben teils umfangreiche Stellungnahmen zur Versorgungslage ab.
Das Sozialgericht Berlin gab der Klage der Internistin statt und verpflichtete den Berufungsausschuss, der Klägerin eine Sonderbedarfszulassung zu erteilen. Gegen diese Entscheidung legte nun der BA Rechtsmittel ein, scheiterte aber. Nach Ansicht des LSG ist die Berufung überwiegend als unbegründet zurückzuweisen. Im Ergebnis habe das Sozialgericht den ablehnenden Bescheid zu Recht aufgehoben, hätte aber den BA nicht zur Erteilung der Sonderbedarfszulassung verpflichten dürfen, da die Zulassungsgremien einen nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum besäßen.
Der bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Sonderbedarfszulassung eröffnete Beurteilungsspielraum setze aber einen ausreichend ermittelten Sachverhalt voraus. Die Zulassungsgremien hätten, ausgehend von dem Praxissitz der begehrten Sonderbedarfszulassung – unter Berücksichtigung des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums –, zunächst den zu versorgenden Einzugsbereich der Praxis zu bestimmen und dann für diesen Bereich die tatsächliche Versorgungslage systematisch und strukturiert zu ermitteln. Die Auslastung der im Einzugsbereich befindlichen fachgleichen Praxen sei dabei insbesondere auf Grundlage einer Analyse der Patientenfallzahlen zu ermitteln. Schließlich müssen die Zulassungsgremien die Ermittlungen fehlerfrei würdigen.
In Anwendung der vorgenannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ermittelte der BA hier den Sachverhalt fehlerhaft und bewertete die Lage falsch. Zum einen habe der BA den relevanten Einzugsbereich der in W. gelegenen Praxis der Klägerin von dem Planungsbereich (ganz Berlin) nicht abgegrenzt. Dies wäre aber nötig gewesen. Zum anderen habe der BA die Anzahl der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Internisten mit Schwerpunkt Hämatologie/ Onkologie nicht genau ermittelt. Schließlich habe der BA auch die vorhandenen Ermittlungsergebnisse nicht beurteilungsfehlerfrei gewürdigt.
Im Bereich der Hämatologie/Onkologie bestehe auch keine Gefahr einer angebotsinduzierten Erweiterung der Nachfrage nach fachärztlichen Leistungen. Denn die Nachfrage nach ambulanten hämatologisch- onkologischen Leistungen sei einzig und hart diagnosegesteuert und stehe nicht im Belieben der versicherten Patienten. Es verbiete sich daher, mit einem Antrag auf Sonderbedarfszulassung in diesem Bereich zur Begrenzung der Leistungsmenge besonders restriktiv umzugehen.
LSG Berlin-Brandenburg, 19.2.2025, Az. L 7 KA 1/24