Benachteiligungsverbot Blindenhund darf mit ins Wartezimmer

KarlsruheRechtliches, Praxismanagement

Ärzte müssen einen Blindenhund in ihrer Praxis dulden – anderenfalls wären Blinde unzulässig benachteiligt, wie das Bundesverfassungsgericht urteilt. Danach darf eine blinde Frau mit ihrer Blindenführhündin das Wartezimmer einer Arztpraxis durchqueren, weil sie nur so selbstständig in eine benachbarte Physiotherapiepraxis gelangen kann.

Die blinde Frau war in physiotherapeutischer Behandlung. Die Praxis konnte sie entweder durch den Hof über eine Stahlgittertreppe erreichen oder durch einen Ausgang am Ende des Wartezimmers einer orthopädischen Arztpraxis im selben Haus. Beide Wege waren ausgeschildert. Mit ihrer Führhündin war sie schon wiederholt durch die Praxis und das Wartezimmer gegangen. Eines Tages verboten dies aber die Ärzte. Die Mitnahme von Hunden in die Praxis sei generell nicht erlaubt.

Das Kammergericht Berlin war noch der Ansicht, dass ein generelles Hundeverbot in einer Arztpraxis nicht diskriminierend sei. Die Frau könne ihren Blindenhund vor der Praxis anbinden und sich dann von Menschen helfen lassen.

Das beurteilte das Bundesverfassungsgericht anders. Das im Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot für behinderte Menschen sei nicht nur ein Grundrecht, sondern zugleich eine „objektive Wertentscheidung“, die ein bestimmtes Menschenbild vermittle. Das Benachteiligungsverbot soll behinderte Menschen so weit wie möglich ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben ermöglichen. Nicht gerechtfertigt sei daher, dass sich die blinde Frau von wenig bekannten oder gar fremden Personen abhängig machen und sich anfassen und führen lassen müsse. „Dies kommt einer – überholten – Bevormundung gleich, weil es voraussetzt, dass sie die Kontrolle über ihre persönliche Sphäre (zeitweise) aufgibt“, so die Richter.

Auch einen Hinweis der Ärzte auf die Hygiene ließ das Gericht nicht gelten. „Sowohl das Robert Koch-Institut als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft gehen davon aus, dass aus hygienischer Sicht in der Regel keine Einwände gegen die Mitnahme von Blindenführhunden in Praxen und Krankenhausräume bestehen.“

 

BVerfG, 30.01.2020, Az.: 2 BvR 1005/18