Hoppe polarisiert mit Priorisierung

Gesundheitspolitik

Auftakt des 112. Deutschen Ärztetages in Mainz

MAINZ - Prof. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, hat beim gestrigen Auftakt des 112. Deutschen Ärztetages in Mainz das Schwinden finanzieller Mittel im Gesundheitswesens beklagt und eine "Priorisierung" der Patientenbehandlung gefordert.

Unter Bezugnahme auf das Blümsche Rentenversprechen gegen Ende der 80er Jahre sagte der Ärztepräsident: "Wer behauptet, die umfassende Gesundheitsversorgung sei sicher, der sagt schlicht und einfach nicht die Wahrheit." Den Schwarzen Peter sieht Hoppe bei der Gesundheitspolitik der Regierung, die bislang und weiterhin die Bevölkerung in dem Glauben lasse, sich auf eine umfassende medizinische Versorgung verlassen zu können, obwohl seit Jahrzehnten von der überalternden Bevölkerung, die immer mehr Versorgung in Anspruch nimmt, immer weniger finanzielle Mittel in das System eingebracht werden. In einer vorausgegangenen Ansprache hatte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck den Begriff Rationierung im Zusammenhang mit Gesundheit als ein "grässliches Wort" bezeichnet. Hoppe weist den Begriff Rationierung zurück: „Wenn Herr Beck das Wort Rationierung so grässlich findet - nun, das geht uns genau so. Wir Ärztinnen und Ärzte in Deutschland wollen keine Rationierung, keine Streichung von medizinischen Leistungen, aber wir wollen auch nicht weiter für den staatlich verordneten Mangel in den Praxen und den Kliniken verantwortlich gemacht werden.“ Mangelversorgung sei in Deutschland leider Realität und deshalb müsse dafür gesorgt werden, dass sich Politik und Gesellschaft mit diesem Thema auch ernsthaft auseinandersetzen. "Wenn wir nicht genug finanzielle Mittel bekommen, müssen wir gerechte Verteilungsmaßnahmen ergreifen" rechtfertigt Hoppe die Pläne zu einer Priorisierung von Gesundheitsleistungen. Um eine gerechtere Verteilung der Gesundheitsleistungen zu erreichen, schlägt Hoppe die Einrichtung eines aus Ärzten, Juristen, Ökonomen und Patienten zusammengesetzten Gesundheitsrates vor, der Empfehlungen für die Politik entwickeln soll. Als mögliches Vorbild für eine Priorisierungsordnung nannte Hoppe das vierstufige schwedische Modell:
1. Versorgung lebensbedrohlicher akuter Erkrankungen
2. Prävention und Rehabilitation
3. Versorgung weniger schwerer akuter oder chronischer Erkrankungen
4. Versorgung aus anderen Gründen als Krankheit oder Schaden
Für Punkt 4 stehen in der Regel keine öffentlichen Gelder zur Verfügung, die Betroffenen müssen solche Leistungen selbst zahlen.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt fehlte zum ersten Mal in ihrer Amtszeit bei der Eröffnung eines Ärztetages. Sie weilte in Genf zu einer Tagung über die Gefahren der Neuen Grippe. Staatssekretär Theo Schröder richtete das Bedauern der Ministerin aus und sagte, diese Entscheidung sei ihr schwer gefallen. Das Auditorium nahm dies mit Belustigung zur Kenntnis. Schröder nannte in Hinsicht auf die Priorisierungs-Debatte das "oberste Ziel des Sozialstaates, dass jeder, der eine Behandlung braucht, diese auch bekommt." Dies sei Dreh- und Angelpunkt unseres Gesundheitssystems, um das uns die Welt beneide. Weiterhin nannte Schröder Medizinische Versorgungszentren, die eCard sowie das Modell Schwester AGnES (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Healthgestützte, Systemische Intervention) als Teile des Zukunftsmodells, das auf einem "ausbalancierten System aus Selektiv- und Kollektivverträge" beruhen müsse. Unter Bezug auf die umstrittene Honorarreform sagte Schröder, diese habe das System transparenter gemacht und richtete den Blick in die Zukunft der Vergütung ärztlicher Leistungen: "Wir stehen nicht am Ende, sondern am Anfang der Honorarreform." Eine Aussage, die von einem größeren Teil des Auditorium als Drohung empfunden wurde. Im Widerspruch zu seiner Propagierung der MVZ als Zukunftsmodell sagte Schröder, die Freiberuflichkeit der Ärzte stehe überhaupt nicht zur Debatte. Hoppe umriss in seiner Rede unter dem Applaus der Anwesenden seine Sichtweise auf den freien Beruf des Arztes: "Es liegt in der Natur des Arztes als freier Beruf, dass er seine Patienten bestmöglich behandeln möchte. Darauf vertraut der Patient und diesem Vertrauen will der Arzt gerecht werden. Das ist unser berufliches Ethos, das ist unsere Selbstverpflichtung als freier Beruf. Deshalb auch legen wir so großen Wert darauf, dass diese professionelle Autonomie, diese Weisungsunabhängigkeit in medizinisch-fachlichen Fragen erhalten bleibt. Die Freiberuflichkeit des Arztes ist nicht gebunden an die Form des Arbeitsverhältnisses."

Weitere Berichte vom 112. Deutschen Ärztetag lesen Sie in der Juli-Ausgabe von Der Deutsche Dermatologe.