Gutachten BGH stärkt Rolle von ärztlichen Sachverständigen

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Rolle ärztlicher Sachverständiger gestärkt. Der Interessenkonflikt eines medizinischen Gutachters, der als Arzt die zu begutachtenden Leistungen selbst erbringt, rechtfertige nicht den Generalverdacht einer einseitig am eigenen Gebühreninteresse ausgerichteten Gutachtenerstattung.

Der Umstand, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen der von ihm ausgeübten ärztlichen Tätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern einer privaten Krankenversicherung Behandlungsleistungen erbracht (hier: IMRT-Strahlentherapie) und abgerechnet hat (hier: analog Nummer 5855 GOÄ), begründet für sich allein nicht die Besorgnis der Befangenheit. Dies auch nicht in dem Fall, wenn der Sachverständige in einem Rechtsstreit zwischen einem anderen Versicherungsnehmer und der Krankenversicherung die medizinische Notwendigkeit und Abrechenbarkeit entsprechender Behandlungsleistungen beurteilen muss. Nur wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen infrage stellen, kann die Annahme eines Ablehnungsgrunds gerechtfertigt sein.

Es kann aber Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass der Sachverständige der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht, wenn er eigenes – sei es auch nur mittelbares – wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits habe. Ob dies anzunehmen ist, entzieht sich einer schematischen Betrachtungsweise und kann nur auf Grund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Im hier entschiedenen Fall wurde Befangenheit abgelehnt.

Die Parteien streiten über die Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Bestrahlungstherapie im Rahmen eines privaten Krankenversicherungsverhältnisses. Die beklagte Versicherung hat die medizinische Notwendigkeit der IMRT-Behandlung bestritten. Zudem ist sie der Auffassung, die IMRT-Behandlung könne nicht analog Nummer 5855 GOÄ abgerechnet werden, da sie mit der IORT-Therapie nicht gleichwertig im Sinne des § 6 Abs. 2 GOÄ sei.

Das Landgericht ordnete die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens ein unter anderem zu der Behauptung der Klägerin, die bei ihr durchgeführten IMRT-Behandlungen seien nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertig mit einer intraoperativen Strahlenbehandlung mit Elektronen. Zum Sachverständigen wurde ein Direktor einer Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie bestellt. Die Versicherung hat den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sie begründete dies damit, dass der Sachverständige in den Jahren 2015 und 2016 als behandelnder Arzt bei drei nicht am Rechtsstreit beteiligten Versicherungsnehmern des Beklagten IMRT-Behandlungen durchgeführt und diese auch nach Nummer 5855 GOÄ analog in unbeschränktem Umfang abgerechnet habe. Die Rechnungen des Sachverständigen habe das Versicherungsunternehmen mit denselben Einwendungen wie im jetzigen Prozess nur gekürzt erstattet.

Dieser Ansicht schloss sich der BGH aber nicht an und war der Meinung, dass der Sachverständige nicht befangen war. Eine Besorgnis der Befangenheit folge nicht schon daraus, dass der Sachverständige im Rahmen der von ihm ausgeübten ärztlichen Tätigkeit selbst IMRT-Behandlungen erbringe und diese – entsprechend einer Empfehlung der Bundesärztekammer – nach Nummer 5855 GOÄ analog abrechne. Daran ändere auch der besondere Umstand nichts, dass der Beklagte drei IMRT-Behandlungen betreffende Rechnungen des Sachverständigen gegenüber anderen Versicherungsnehmern nur gekürzt erstattet habe.

Die erforderliche Sachkunde ärztlicher Sachverständiger bedinge regelmäßig die Bestellung von Ärzten, die die streitige Behandlungsmaßnahme auch selbst durchführten und in der Regel auch selbst liquidationsberechtigt seien. Der sich daraus ergebende systemimmanente Interessenkonflikt könne nicht dem Sachverständigen zugerechnet werden. Die Annahme eines „Generalverdachts“ einer einseitig am eigenen Gebühreninteresse ausgerichteten Gutachtenerstattung erscheine gerade gegenüber besonders qualifizierten ärztlichen Sachverständigen überzogen.

Andernfalls würde der Kreis der qualifizierten Gutachter stark eingeschränkt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige zu den Beweisfragen nicht neutral Stellung nehmen werde, lägen nicht vor. Eine Begutachtung in eigener Sache finde nicht statt. Auch sei der Sachverständige nicht an einem Streit des Beklagten mit anderen Versicherungsnehmern beteiligt. So wurde der Antrag auf Befangenheit zulässigerweise abgelehnt.

 

BGH 6.6.2019, Az.: III ZB 98/18