Erster Kassenärztetag fast ohne Kassenärzte

Gesundheitspolitik

KBV will mehr Gestaltungsspielraum für die Selbstverwaltung

BERLIN - Lag es an der Sorge vor einer Schweinegrippe-Infektion? Oder am Termin – zur besten Praxiszeit? Oder war gar Politikverdrossenheit der Grund? Der 1. Deutsche Kassenärztetag fand nahezu ohne Kassenärzte statt. Der angemietete Saal war nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Dabei war diese Veranstaltung im Berliner Maritim-Hotel doch der letzte Rest an Eskalation auf den Bundestagswahlkampf hin, die KBV-Chef Dr. Andreas Köhler noch im Februar angekündigt hatte.

 

Dabei hatte sich die KBV für diese Veranstaltung mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche iun Deutschlands, Bischof Dr. Wolfgang Huber, eines prominenten geistigen Beistands versichert. Huber lieferte mit seinen durchaus sachkundigen Anmerkungen zu den Aporien des Gesundheitswesens und ethischen Reflexionen zum Spannungsverhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität gleichsam die Steilvorlage zum Anspruch der KBV, eine flächendeckende und gleichmäßig hohe medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

 

„Der Grundsatz, dass jeder, unabhängig von Einkommen oder sozialem Status, Zugang zu medizinischen Leistungen haben soll, muss bewahrt werden. Es ist auch für die Gesunden gut zu wissen, dass Krankheiten nicht zum Ausschluss führen. Eine Gesellschaft, die keine Solidarität aufbringt, schadet sich selbst. Wenn nur noch der ökonomische Blick das Handeln bestimmt, nimmt das Gesundheitswesen schweren Schaden“, unterstrich Huber.

 

Das schließt Reformen nicht aus – im Gegenteil, wie KBV-Vorstand Dr. Carl Heinz-Müller schon zum Auftakt der Veranstaltung verdeutlichte: „Wir müssen das Gesundheitswesen modernisieren, insbesondere auch, um dessen Bezahlbarkeit zu erhalten", forderte Müller. Mehr Wettbewerb könne hier zweifelsohne wichtige Impulse liefern. "Aber er hat auch Nebenwirkungen für die Versorgungssicherheit und -gerechtigkeit und für die Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim Wettbewerb im Gesundheitswesen darf es ausschließlich darum gehen, zuvor festgelegte, qualitativ hochwertige Versorgungsziele zu erreichen", so Müller.

 

Daraus folge zwingend, dass nicht jede Kasse ihre eigenen Qualitätsstandards definiert. Der Wettbewerb brauche klare Regeln. Sonst seien die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht mehr in der Lage, die wohnortnahe qualitätsgesicherte Versorgung bei freier Arztwahl sicherzustellen. Außerdem müsse das Übermaß an Bürokratie und Regulierung dringend auf das notwendige Maß reduziert werden.“


Für die KBV gehört der Erhalt der Freiberuflichkeit und der unbedingte Vorrang medizinischer Aspekte bei der Behandlung zu den zentralen Forderungen für die kommende Legislaturperiode, wie KBV-Vorstand Dr. Andreas Köhler deutlich machte „Wir wollen nicht, dass Diagnosen nach wirtschaftlichen Kriterien der Krankenkassen codiert werden“, betonte Köhler.
Weiter fordert die KBV entlastende Regeln für die Arzneimittelverordnung, mehr Gestaltungsspielraum für die Selbstverwaltung und eine Rückkehr zur Einzelleistungsvergütung: „Pauschalen führen zu Intransparenz und bilden den tatsächlichen Leistungsbedarf nicht ab", monierte Köhler.


in der anschließenden Diskussion mit Abgeordneten und Gesundheitsexperten der im Bundestag vertretenen Parteien bestand Einigkeit, dass Wettbewerb insbesondere als Suchmodell für neue Versorgungsformen sinnvoll sei, jedoch eines Ordnungsrahmens bedürfe.
Erledigt war für die Politikerrunde offenbar auch die Auseinandersetzung über die Zukunft der KV, lediglich Daniel Bahr von FDP merkte kritisch an, dass nach FDP-Vorstellung Freiberuflichkeit und Zwangsmitgliedschaft in einer Körperschaft nur schwer zusammengehen.

Dr. Gregor Gysi, Die Linke, gestand zur allgemeinen Erheiterung ein, von Gesundheitspolitik nicht viel zu verstehen. Ihm jedoch blieb es vorbehalten, ein wenig Feuer in die dahinplätschernde "Debatte" zu bringen. Auslöser war die Verlesung eines Dreizeilers, den ein sachkundiger Mitarbeiter Gysi mit auf den Weg gegeben hatte.


Der §73b SGB V mache den Hausärzteverband zu einem Monopolisten. Die Linke lehne dies ab. Der Arzt müsse jeden Patienten behandeln können, der komme, unabhängig davon welcher Krankenkasse er angehöre, unterstützte Gysi die vorausgegangene Kritik Köhlers an der geltenden gesetzlichen Regelung der Selektivverträge.


In der nachfolgenden Debatte war SPD-Vertreterin Mechthild Rawert – ganz auf der Linie von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt – die Einzige, die §73b unangetastet lassen will. Doch selbst die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Biggi Bender sieht hier Änderungsbedarf.


Ungelöster Knackpunkt ist und bleibt die Bereinigung der Gesamtvergütung um den hausärztlichen Leistungsanteil. In einigen KVen laufe – bislang ergebnislos – Schiedsamtsverfahren. Für die CDU/CSU plädierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Zöller für ein klärendes Gespräch zwischen KV-Bayern-Chef Munte und dem Bayerischen Hausärzteverbandsvorsitzenden Hoppenthaler nach der Wahl und "empfahl" dringend, den Konflikt beizulegen.