Eine überflüssige Provokation

Gesundheitspolitik

Geplantes Wartezeitenmanagement löst nicht Probleme bei der Terminvergabe

BERLIN - "In den wesentlichen Zukunftsfragen der Finanzierung unseres Gesundheitswesens werden sich die Verhandlungsführer von SPD und Union nicht einig. Um so befremdlicher ist das breite Einvernehmen, uns Fachärzte für längere Wartezeiten auf einen Termin mit Honorarkürzungen und mit einem neuen bürokratischen Popanz zur zentralistischen Verteilung von Terminen abzustrafen", heißt es in einer Presseerklärung des BVDD zu den vorläufigen Ergebnissen der AG Gesundheit bei den Koalitionsverhandlungen.

Die zuletzt angekündigten Eingriffe in die Berufsfreiheit des Arztes und das Arzt-Patientenverhältnis spotten jeglicher Sachkompetenz und verkennen die Fakten. Im Krankenhaus wie in der ambulanten Versorgung trifft eine wachsende Inanspruchnahme durch Kranke auf eine weiter abnehmende Zahl von Haus- und Fachärzten. Das gilt verschärft für die ostdeutschen Bundesländer.


Dermatologen beispielsweise behandeln jährlich rund 18-21 Millionen Haut- und Allergiekranke, jede Hautarztpraxis im Quartal durchschnittlich rund 1.999 gesetzlich Krankenversicherte. Die bundesweit rund 120 Hautkliniken und klinischen Einrichtungen mit dermatologischer Fachabteilung versorgen insgesamt 1,1 % aller Hautkranken-Fälle und arbeiten damit heute bereits am Limit. In den übrigen Krankenhäusern sind ausgebildete Dermatologen nicht verfügbar.


Hinzu kommt, dass die an eine Klinik überwiesenen Patienten oft erhebliche Wege in Kauf nehmen müssten, wenn sie die Wartezeit in der Niedergelassenenpraxis verkürzen wollen. Für viele chronisch Hautkranke mit wiederkehrendem Versorgungsbedarf ist der damit verbundene Kosten- und Zeitaufwand nicht darstellbar.  


Wir Haut-Fachärzte sehen uns wie unsere übrigen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen in einer besonderen Verantwortung gegenüber unseren Patienten. Wir bekennen uns zu einer medizinisch begründetenen "Zwei-Klassenmedizin": Notfälle und die Behandlung schwer- und dauerkranker Patienten haben Vorfahrt vor planbaren Terminen und gesundheitlichen Problemen, die den Patienten nicht oder nur gering akut belasten. Bei weiter steigendem Ärztemangel bedarf die Entscheidung medizinischen Sachverstands und ist nicht rein administrativ über ein zentrales "Callcenter" zu lösen.


90 Prozent aller Patienten sind gesetzlich krankenversichert. Sie erhalten in der Hautarztpraxis wie im Krankenhaus alles medizinisch Notwendige, aber halt keine bessere Versorgung wie in der privaten Krankenversicherung. Die zahlt für eine bevorzugte Terminvergabe höhere Preise. Einige gesetzliche Krankenkassen übrigens gleichfalls: beispielsweise für Sondersprechstunden am Samstag, die speziell ihren Versicherten offen stehen.

Eine Fortsetzung der Politik falscher Schuldzuweisungen, wie wir sie schon in der Ära Ulla Schmidt erlebt haben, löst kein einziges Problem unseres Gesundheitswesen. Das Signal weist in die falsche Richtung. Wenn dieser Populismus alles ist, was in den Koalitionsverhandlungen zur Gesundheitspolitik als Erfolg zu vermelden bleibt, sehen wir schwarz für die Lösung der wirklichen Probleme der gesetzlich Versicherten.

Gelegentliche Wartezeiten sind für einen Teil der Patienten unvermeidlich – selbst in rein staatlichen Versicherungssystemen – aber zumutbar. Mit unseren kurzen Wartezeiten sind wir in Deutschland im europäischen Wettbewerb vielen anderen Systemen deutlich überlegen. Selbst wenn wir die Termine für unsere 10 % privat Versicherten frei geben würden, bliebe es rein rechnerisch bei einer Reduktion der Wartezeiten für die anderen 90 % um eben diese 10 %. Wem sollte das helfen?
 
Hinter der scheinbar so verbraucherfreundlichen geplanten Neuregelung steckt eine langfristige Strategie, die wir zurückweisen: die Krankenhäuser sollen mehr und mehr im Verdrängungswettbewerb mit der Facharztpraxis die Versorgung übernehmen. Dafür steht der Verhandlungsführer der SPD in der AG Gesundheit Karl Lauterbach, der bis zum Sommer noch mit Bundestagsmandat zeitgleich als Aufsichtsratmitglied in den Diensten des Rhön-Klinikums stand.


Wir niedergelassenen Fachärzte werden nicht hinnehmen, dass diese neue „Große Koalition“ da weiter macht, wo die alte aufgehört hat. Eine solche Koalition brauchen weder wir Ärzte noch unsere Patienten.